Manche haben unauffällig die Wohnung verlassen, manche über Umwege. Manche versprachen zurückzukommen. Einem hab ich hinterhergewunken.
Fünf Regenschirme zierten mal den Wohnungsflur. Klein und groß. Billig und edel. Geschenkt und gekauft. Doch irgendwann war‘s mit der Zierde dann vorbei. Regelmäßig wurden wir nun nass. Auf dem kurzen Weg zu Freunden, dem längeren zur Arbeit, der Mittelstrecke ins Zentrum. Im Sommer freuten wir uns mitunter noch über einen kurzen Guss. Doch mit den ersten bunten Blättern kam die Erkenntnis: Ein neues, treues Stück muss her.
Der Ausflug nach London schien die perfekte Gelegenheit. Hier ward der Regenschirm wahrscheinlich erfunden und die gute Tradition bewahrt. Der Schirmmacher keine aussterbende Gattung, sondern gut im Geschäft.
Wir landen in strahlendem Sonnenschein. Die Temperaturen schon in Heathrow wärmer als gedacht. Und nichts scheint sich für das Inselvolk daran zu ändern. Das Bier im Pub genießen wir im Freien, den größten Teil der Feier am nächsten Abend auch. Wir liegen im Park, verharren bei Straßenkünstlern, blinzeln staunend in den Himmel.
Wir man hier nicht mehr nass?
Kurz gerät die Schirmmission ins Stocken. Kein Regen in London? Vielleicht wird das Stück nicht mehr gebraucht. Doch der Wetterblick über den Ärmelkanal beruhigt: It‘s raining again. Die Mission kann weitergehen. Am ersten Tag wird das Schirmgeschäft nur kurz gestreift. Modelle geprüft, die Preise auch. Am nächsten dann bleiben nur zehn Minuten für die Wahl. Doch kein Problem, das Zielobjekt steht zügig fest.
Rot. Zart. Nicht-nass-werden sah noch nie so schick aus.
Der Gatte ist verwirrt vom Shoppingrausch. Den leih ich mir nie, wirft er ein. Stell dir vor, ich lass ihn stehen. Doch seine Einwände verhallen unbehört. Der Geist ist benebelt vom schmalen blauen Ledergriff. Kriegst du den denn in den Koffer, versucht es sich hindurchzuboxen. Ach, wofür gibt es Handgepäck. Doch plötzlich frag ich mich dann doch: Mein Schirm, eine Gefährdung der Flugsicherheit?
Das Internet verwirrt mehr als es verrät. Der Gatte muss zum dritten Mal mit mir ins Schirmgeschäft: Wer hier Expertise hat, weiß über Flugzeugregeln doch bestimmt Bescheid. Den Heimversand zum halben Schirmpreis will ich zwar nicht. Die Verpackung aber umso lieber. So einfach aufgeben, no problem, versichert der Schirmexperte durch enge Brille und wirres Haar, nachdem er zum Zehntel des Einkaufspreises den Regenschutz kunstvoll verschnürt hat.
Zum Glück scheint immer noch die Sonne.
In ihrem Schein fahren wir zum Flughafen. Der Mann in der Subway will zurück nach Arizona. Luxustüten stapeln sich um ihn herum. Zwei Tage hat er gebraucht, sie einzusammeln. Nun will er wissen, was in meinem Paket steckt. Viel Regen in Germany, isn‘t it? In Phoenix aber wird er nicht nass. Sein Rasen ist aus Plastik, die mannhohe Kaktee aber eine Augenweide. Ein Schirm nutzt hier nur gegen Sonne, sagt er. Kurz kommt Neid auf. Die Geschichte von der Eule jedoch verscheucht ihn schnell. Wenn die kommt, verschwindet der Pinscher so zuverlässig wie ein Schirm aus meinem Flur. Vielleicht doch lieber nass werden.
Bei der Gepäckaufgabe beschleunigt sich dann kurz mein Puls. Wird das Schirmversprechen halten? Schon sucht eine Auge nach der DHL. Doch Aufgeben ist möglich, stell‘ ich mit Erleichtern fest. Lange hält das leider nicht. Ein drittes Gepäckstück angemeldet? Kurz ein Sicherheitsrisiko erwartet, doch die Kosten sind‘s. 58 Pfund will der Kranich für die zwei zusätzlichen Kilos haben.
Nicht-nass-werden war noch nie so teuer.
Warum nicht mit ins Flugzeug, fragt die Eincheckfrau mit Zweifelblick. Passt prima rein ins Handgepäck. Sicherheitsbedenken zerstreut sie schnell. Ein Schirm sei kein Problem, wiederholt sie auf Nachfrage. Don‘t worry. Dasselbe spricht der Röntgenmann, bevor er sich erneut dem Kinderwagen vor uns widmet. Zwischen Windeln und Brei geht es weit verdächtiger zu als in meinem gut verschnürten Stück.
Ein ruhiger Flug, doch plötzlich ist die Sonne weg. Der Pilot bestätigt, was wir schon längst gesehen haben. Das schöne Inselwetter ist vorbei. Die Heimatstadt versinkt im Regen. Am Gepäckband zerre ich am Schirmpaket. Doch der Engländer verstand sein Werk.
Willst du nicht den Schirm endlich auspacken, fragt der Gatte kurz darauf durch den Niesel.
Der ist viel zu fest verschnürt, sage ich. Dann werden wir halt nass.