In Berlin

Verboten kommen wir uns vor, schon in der Tram. Sprechen über Zäune, die es vielleicht zu überwinden gilt. Mauern in unserem Weg. Sogar über die Polizei und was sie gegen uns dann vorzubringen hat. Unerlaubtes Betreten? Hausfriedensbruch? Oder gar illegale Grenzüberschreitung? Doch wir sind mutig, extra für den Stacheldraht hab ich die dicke Hose an. Die warme Jacke gegen kalten Wind. Aufhalten soll uns heute nichts. Kein scharfer Hund, der uns verjagt. Kein Wachschutz, der Vertrauen bringen soll und in Berlin so oft das Gegenteil bewirkt. Wir setzen auf die Einsamkeit.

Zu zweit verlassen sein. Das suchen wir an diesem Tag.

Schon einmal haben wir uns zusammen an einen solchen Ort gewagt, mein Freund und ich. Da war es Sommer, vier Jahre ist das her. Viel früher hatte ich darüber nachgedacht, doch einen Wachschutz gab’s auch hier. Einem, dem man nicht begegnen will, egal zu welcher Tageszeit. Also buchten wir die Tour mit zwanzig anderen dabei. Rund um den Spreepark liefen wir.

Verlassen, ja, ein bisschen war das so. Die zugewachsene Achterbahn. Das Wildwasserding ohne einen Tropfen drin. Der Tretbootschwan, unwillig noch zum Untergang. Die Dinosaurier hingegen sahen gar nicht so verlassen aus. Eher leer, wenn man von unten auf sie blickt. Aufs Foto vom Verlassensein drängte sich ständig dann ein Fremder drauf.

Mit Einsamkeit war hier nicht viel.

Nur manchmal stellte sich ein Gefühl von Ruhe ein. Die Gruppe verlassen war dafür ein Weg. Da gibt’s ein Foto, nur mein Freund ist drauf. Und der Wagen ohne Lenkrad, in dem er sitzt. Da gibt’s ein andres, nur die Dinos drauf, ein bisschen verlassen, ja, vielleicht dann doch. Ein wenig Gänsehaut, die gab’s dort auch, das Riesenrad fachte sie an. An seiner Rückseite merkten wir, dass es sich unablässig dreht, ganz langsam nur. Als hätte jeder unsichtbare Passagier das Recht auf einen langen Blick hinab. Die Phantasie riss ganz kurz aus. Der Ton, ob Wind, ob Rad, er tat sein Übriges dazu. Als käme Norman Bates ins Zimmer rein.

An diesem Tag vor Kurzem erst stellt sich die Gänsehaut viel schneller ein. Die Angst vor Stacheldraht war gar nicht falsch, leicht kommen wir trotzdem rein. Wir gehen durch das offene Tor und, ja, der Herzschlag geht ein bisschen schneller nun. Rasch die paar Stufen hoch, wir stehen im Empfangsbereich. Die Sicherheit war ganz bestimmt mal größer hier als das noch eine Botschaft war. Jetzt aber kann ein jeder rein und während mein Blick noch vorsichtig den Raum erforscht, merk ich: Wir sind nicht allein als Ausflugspersonal. Die Gruppe plaudernder Studenten schiebt sich zu fünft an uns vorbei.

Verlassenheit suchen die ganz sicher nicht.

Ein kurzer Blick zum Freund genügt, wir gehen schnell von ihnen weg. Am besten in den Keller, da ist es dunkel und geheim, die wagen sich bestimmt nicht hin. Die Wendeltreppe führt hinab, ein Blick ums Eck, da steht ein Kessel drin. Groß, mit Rost. Für Wasser oder Wärme, seit langer Zeit nicht angefasst. Es reizt mich sehr, mal einen Hahn kurz aufzudrehen. Nur, um zu schauen, was passiert. Die Hand, sie wackelt schon ein bisschen hin. Ich höre Stimmen aus dem Flur, die fröhliche Studentenschar. Blitzlicht erfüllt den kleinen Raum. Die Hand am Hahn vergisst zu drehen.

Ein kurzer Blick zum Freund genügt, wir gehen schnell von ihnen weg. Am besten in den Keller, da ist es dunkel und geheim, die wagen sich bestimmt nicht hin. Die Wendeltreppe führt hinab, ein Blick ums Eck, da steht ein Kessel drin. Groß, mit Rost. Für Wasser oder Wärme, seit langer Zeit nicht angefasst. Es reizt mich sehr, mal einen Hahn kurz aufzudrehen. Nur, um zu schauen, was passiert. Die Hand, sie wackelt schon ein bisschen hin. Ich höre Stimmen aus dem Flur, die fröhliche Studentenschar. Blitzlicht erfüllt den kleinen Raum. Die Hand am Hahn vergisst zu drehen.

Ein kleiner Kriegsrat muss jetzt sein. Der Freund hat sich gemerkt, wo die Gruppe noch kurz vorher war. Dort können wir alleine sein, ganz sicher ist er sich dabei. Der Brandraum muss das sein, fast alles ist hier kohleschwarz. Nur ein paar Akten sind nur halb verkohlt.

Allein will ich kurz gar nicht sein. Sondern einen, der arabisch spricht.

Der Weg zurück ins Haus macht klar, was wir schon längst befürchtet haben: die Studenten sind noch immer da. Und andere auch, als Paar, allein. Ständig kommt ein andrer durch den Flur, Lachen hallt in kalter Luft. Wir wandern trotzdem durch den Ort, stehen lang im zweiten Stock. Die große Terrasse lädt zum Bleiben ein. Kurz stellen wir uns vor, dass sie nur uns gehört. Hier der Grill, dort der Tisch. Und ganz viel Ruhe bei dem Blick ins Grün. Zurück im Flur kriegen wir davon nicht viel. Der eine knipst nur ein Motiv, hundert Mal und noch viel mehr. Die andere quetscht sich in das ausgeräumte Bad, das nur noch blaue Fliesen hat.

Wir aber gehen mit dem letzten Sonnenstrahl hinaus. Fast eilig werfen noch einen Blick zurück.

Wir könnten es kaufen, phantasiert mein Freund, dann hätten wir’s für uns allein.

Wenn du den Wachschutz übernimmst, sage ich, nehm’ ich das Zimmer oben rechts.

In Bangkok

Nach einer Nacht fast ohne Schlaf schleichen wir zum Taxistand, einfach der Masse hinterher. Zum Glück sind wir gut instruiert, ganz nach unten müssen wir. Ein wohlgeordnetes System erwartet uns. Wir stehen an, dann fragt uns einer nach dem Ziel. Die Reisegefährtin hat alles rausgesucht und zeigt exakt, wohin es geht. Dass wir gern eins in pink hätten, verschweigen wir wohl besser hier. Kaum ist der Zettel ausgefüllt, werden wir schon einem Fahrer anvertraut.

Wie viel Vertrauen so ein Zettel machen kann, im Taxi lehn’ ich mich zurück. Doch bevor die Augen zugefallen sind, da fällt mir ein: Die Kosten stehen nicht darauf. Drei Schritte sind wir erst gefahren, die Frage geht nach vorn, den angemessenen Preis im Hinterkopf. Kurz handeln wir und siehe da: Wir kriegen eine faire Fahrt.

Taxifahren? Wir sind Expertinnen!

Zuverlässig liefert er uns ab, vorbei am Mann mit Tropenhelm geht’s ins Hotel. Und wenig später wieder raus. Früh essen und dann ab ins Bett, so ist der Plan, dann hat der Jetlag keine Chance. Wir stolpern in den Skytrain, auf zum Abendmahl. Danach noch kurz durchs Einkaufszentrum nebenan, da sehen wir: Hier gibt es einen Taxistand. Damit kennen wir uns aus, stellen uns an. Die dreiviertel Stunde, die nun folgt, zeigt Tuk-Tuks in sehr großer Zahl. Doch dies Gefährt scheint nicht vertrauensvoll genug. Man wartet lieber länger für das pinke Ding.

Dann sind wir dran, wir steigen ein. Das Taxameter ist nicht an. Wir bitten drum, der Fahrer schweigt. Wir wiederholen, doch das hilft nicht viel. Das Zentrum liegt schon hinter uns, da frag’ ich eben nach dem Preis. Was er dann nennt, ist unverschämt, der Weg zum Airport kostet nicht so viel. Als wir ein Ultimatum stellen, mit Meter oder ohne Gast, da fährt er noch ein kleines Stück. Bis dahin, wo es dunkel ist und vor allem unbelebt. Dann hält er an und schmeißt uns raus.

Aus dem Taxi rausgeworfen? Wir sind blutige Anfängerinnen.

Da stehen wir jetzt, die Gefährtin sieht mich müde an. 36 Stunden ohne Schlaf, Überwindung ist da jeder Schritt. Doch hilft es nichts, wir müssen weg. Ein Taxi kommt hier nicht vorbei. Wo war das Zentrum mit dem Stand? Wir laufen los. Schon nach zehn Schritten trüben Marschs steht plötzlich was am Straßenrand. Es funkelt leicht und etwas bunt, gefesselt ist sofort der Blick. Dass es ein Tuk-Tuk ist, nun gut. Es hat vier Räder und es fährt.

Wir schauen viel zu interessiert, der Fahrer hat uns längst im Netz. Er kommt herbei und fragt, wohin. Wir sagen es, er sagt den Preis. Horrend auch das, wir wissen es, auch die Hälfte ist zu viel. Wir schlagen sie ihm trotzdem vor, er akzeptiert, wir setzen uns. Dann geht die Festbeleuchtung an, das Funkeln eben war dagegen nur ein leichter Schein. Musik dröhnt los, mit voller Kraft. Was eben noch ne dunkle Ecke war, könnte jetzt ne Disko sein für 100 Mann. Wir fahren wild durch diese Stadt, die Müdigkeit ist plötzlich weg. I like to move it schrillt es laut als wir nach viel zu kurzer Zeit die Auffahrt zum Hotel hochfahren. Mit Würde meistern wir auch das, auch wenn der Mann mit Tropenhelm das Grinsen nicht aus dem Gesicht bekommt.

Taxifahren? Ist was für Anfänger.

Er grinst auch noch am nächsten Tag. Und wir erwidern das sofort, denn diese Fahrt von letzter Nacht hat ankommen ganz leicht gemacht. Versucht sind wir die ganze Zeit, noch eine Fahrt mit Glitzerlicht. Doch diese Fahrt war so speziell, übertreffen könnte man sie nicht. So nehmen wir von Tag zu Tag ein Taxi für fast jede Fahrt. Wir lernen schnell und fahren brav, zum Taxameter oder doch zum ausgehandelten Preis. In einer dunklen Ecke waren wir danach nicht mehr, nicht unfreiwillig jedenfalls.

Ein letztes Mal, wir kamen wieder mal vom Flughafen zurück, ist doch noch etwas Seltsames geschehen. Wir steigen ein am Taxistand, das Spiel, das kennen wir bereits. Der Taxameter läuft, wir sind beruhigt. Und schauen raus auf diese Stadt. Als wir dann aber angekommen sind, wird von uns nicht nur das verlangt, was der Taxameter zeigt. Hier gibt’s noch Extras, lernen wir, doch fragen uns, welche das waren. Die Koffer? Oder Lohn für die Musik? Das Bargeldzahlen vielleicht auch? Es fühlt sich an wie Easyjet, der Basispreis ist nur ein Orientierungswert für das, was man dann später mal bezahlen kann.

Ich dachte, wir könnten das jetzt mit dem Taxifahren, sagt die Reisegefährtin auf dem Weg ins Hotel.

Wir müssen ja nur noch einmal zum Flughafen, sage ich. Und frage mich, ob es in diesem Viertel Tuk-Tuks gibt.

In Istanbul

Im ersten Moment höre ich ihm gar nicht richtig zu. Er erzählt was vom Basar. Klar, wollen wir hin. Er berichtet von den Händlern und wie wir am günstigsten an die begehrten Stücke kommen. Bloß nicht gleich beim ersten kaufen. Desinteresse signalisieren. Jederzeit. Ich fange gleich damit an. Denke an Zitronenpfeffer, den ich mit nach Hause bringen soll.

Vielleicht ja auch noch was Scharfes für den Gatten?

Mitten in Chili-Gedanken höre ich auf einmal was vom Handeln. Stimmt, oh je. Feilschen um Preise? Kommt mir komisch vor. Was ist angemessen? Und was zu viel? Da kann mir der Hotelmanager noch so eindringlich erklären, dass die es zum Kaufvorgang gehört wie das Bezahlen. Doch während ich innerlich das heimische Gewürzregal befülle, wird mir bewusst: Shopping. Durchaus mein Ding. Vier Tage lang durch Istanbul flanieren und ohne Seidenschal oder Pluderhose nach Hause fliegen? So viel Safran passt gar nicht in den Koffer, dass mir das gefallen würde.

Also Tee trinken, zuhören.

Ich merke mir die Grundregeln. Einen Preis nennen lassen. Die Hälfte davon bieten. Sich irgendwo in der Mitte einigen. Muss ja nicht genau die Mitte sein. Okay, das krieg ich hin. Nicht zwischendurch aufgeben, schärft er uns mit der Geduld eines Fußballtrainers ein, und nie, also wirklich nie den geforderten Preis bezahlen. You don‘t want them to think you are… Er spricht nicht weiter, sieht zum ersten Mal verlegen aus. An idiot? Frage ich und schau ihn an. Er schaut zurück. In seinen Mundwinkeln liegt die Andeutung eines Lächelns.

Mein Kampfgeist ist erwacht. Kommt ihr, ihr Händler, ich feilsche euch in Grund und Boden.

Gelegenheit ergibt sich schnell. Am nächsten Tag geht‘s zum Basar. Vielleicht ein Schal? Die Auswahl groß, die Zahl der Händler auch. Und nicht so teuer, falls man sich doch ins Schicksal fügt. Augen zu und durch. Ein erster kurzer Blick und er hat uns am Wickel. Schau mal hier diese Farbe, Kashmir, handgestickt. Desinteresse zeigen!! Ruft mein Kurzzeitgedächtnis mir zu. Ja, ganz hübsch, aber eigentlich… Schau das Material, so wunderbar weich. Gleichgültig wirken!! Schreit der innere Trainer mich an. Was soll er denn kosten? Frage ich so beiläufig wie möglich. Maximal die Hälfte!! Raunt das Gedächtnis hinterher.

100 Lira. Mir stockt der Atem. Selbst für 50 will ich das Ding nicht haben. Schau die Farben, Kashmir, handgestickt. Plötzlich egal. Aber handeln könnt ich üben. 50 sag ich probeweise. Und warte auf ein Gegenangebot. Schau die Farben, Kashmir, handgestickt. Die Lobpreisungen sind ausgeschmückt. 170 Lira hör ich dann plötzlich. Und mecker mein Kurzzeitgedächtnis an. In die falsche Richtung gehandelt? Doch er beharrt. Aber gerade waren es noch 100… Verwirrt sehen wir jetzt beide aus.

Ich schleiche davon, suche was Leichteres. Baumwolle. Schau die Farben, aber kein Kashmir. Der Schal gefällt. 10 Lira raunt der Händler mir gelangweilt zu. Ich bin überrascht. Will kaufen, nicht denken. Doch das Idiotenwort hängt mir im Ohr. Ich sag: 5? Und denke noch: So wenig? Er schaut mich ungläubig an und schüttelt den Kopf. Nimmt den Schal unsanft aus meiner Hand und dreht sich um. Billiger ginge nun echt nicht, murmelt er noch ärgerlich vor sich hin. Und noch was andres hinterher.

Ich hab‘ Sehnsucht nach nem H&M.

Die Reisegefährtin übernimmt die Führung. Zielstrebig zur pinken Auslegware. Sie lässt sich reinziehn, mich notgedrungen mit. Es ist das Stück der Wahl, doch noch zu groß. So wird gezogen und gezerrt, verhandelt und gepreist. 630 Lira stehen im Raum. Ein zweiter Händler mittlerweile auch. Sie wolle nicht mehr ausgeben als 4… Ich fahre ihr über den Mund. Entgeistert, dass sie ihr Maximum verrät. Ich theoretische Expertin der Basarspielregeln.

Doch die 4 ist raus. Und meine Reisegefährtin bleibt eisern. Auf 450 geht sie hoch, doch dann ist Schluss. Ja, ja, sehr schön die Fotos der Händlerstochter, doch mehr wolle sie nicht ausgeben. Ja, ja, es wäre dann eine Maßanfertigung, doch das Budget nun ausgereizt. Oh ja, eine Lieferung ins Hotel wäre großartig, aber sie müsse dann wirklich noch mal woanders schauen. Ein Ringkampf. Und die schlanke Frau mit Zauberkräften ringt zwei Riesen nieder. Sie geben auf. Entkräftet von so viel Beharrlichkeit. Die Lieferung gibt‘s trotzdem noch.

Mein Kampfeswille ist kurz entfacht. Ich sehe erneut den begehrten Schal. Ein andrer Händler wacht darüber. Die Reisegefährtin hat es vorgemacht: Nicht alle eingeschärften Regeln führen zum Ziel. Die eigenen vielleicht schon eher. Mein innerer Handelstrainer schweigt. Ich frage unvermittelt nach dem Preis. 20 Lira will er haben. Die Hälfte davon und ich wäre beim Erstangebot von zuvor. Eingeschüchtert frage ich nach einem Rabatt, mit Zahlen hab ich‘s nicht mehr so. Wir reden übers Wetter, Berlin, die Deutschen, das schöne Istanbul. 15 Lira, okay?

Zwei Tage später. Die pinke Auslegware erreicht die Unterkunft. Die strengen Augen des Hotelmanagers blicken erstaunt. Das Schnäppchen der Reisegefährtin ist wirklich eins. Seine Trainingsmethoden – wirklich so gut?

So billig kommt kaum einer davon, sagt er erstaunt, wie hat sie das geschafft?

Das kann nicht jede, sage ich. Und lockere den Schal um meinen Hals.

In Florenz

Der Bus mit Nummer 7 steht schon da, die Türen fallen gerade zu. Mein Schritt wird etwas eiliger, erwartungsvoll schau ich den Fahrer durch die großen Scheiben an. Und in der Tat, der nickt ganz kurz und macht die Türen noch einmal für uns auf.

Wie aufmerksam! Der Busfahrer ist freundlicher als in der Heimatstadt.

Ich zücke das Portemonnaie, denn dass wir auch im Bus das Ticket nach Florenz lösen können, hat der Vermieter früh am Morgen erklärt. Si, si, non c’è problema. Die ersten Kurven fährt die Linie schon ohne dass der Lenker seinen Blick kurz hebt, schließlich blickt er erst auf den Schein in meiner Hand und dann mich mit fragenden Augen an. Ein Ticket kaufen, sagt er voller Unverständnis, das sei nicht möglich hier. Eine mürrischer Vortrag in ärgerlichem Tonfall folgt während sich der Bus die Serpentinen ins florentinische Tal hinunterschraubt. Über das Schwarzfahren im Allgemeinen und die Strafe, die uns im Speziellen erwarten kann. Tickets beim Fahrer kaufen ist nicht möglich. Capisce?

Wir gehen eingeschüchtert von ihm weg, setzen uns auf einen Platz. Die Situation scheint ungeklärt, bis der Bus am nächsten Halt ganz unsanft an den Rand der Straße zieht. Der Blick im mannhohen Rückspiegel lässt keinen Zweifel zu: Verlassen sollen wir das Gefährt, und zwar jetzt gleich. Mürrisch schaut er immer noch. Dass wir anderthalb Kilometer in die Tiefe gefahren sind und nun wieder bergan müssen, weiß er bestimmt. Strafe muss sein, wenigstens das.

Wie unfreundlich! Das ist mir in 15 Jahren Heimatstadt noch nicht passiert.

Doch gut, in 20 Minuten fährt das nächste Stück. Zeit für den Fußmarsch wieder rauf und einen Ticketkauf am Marktplatz-Kiosk. Brav stellen wir uns an, fragen nach dem, was uns nach Florenz hinunterbringt. Doch due biglietti, das ist hier nicht. Die Kioskfrau schüttelt den Kopf. Beim Busfahrer sollen wir sie kaufen, das versteh ich noch. Wie das aber gehen soll, viel weniger. Mit einem italienisch-spanischen Fantasiegemisch versuch’ ich zu erklären, dass wir das schon vergeblich versucht haben. Doch sie beharrt, das muss so sein. Also warten wir am Unterstand, ganz ohne Fahrschein in der Hand.

Als der nächste Bus einbiegt, hab ich die Hoffnung schon im Blick und das Geld ganz passend in der Hand. Ich frag die Busfahrerin nach Tickets für uns zwei. Sie aber schüttelt nur den Kopf. Starrt geradeaus und presst ein No tickets, don’t speak english raus. Egal, wie lang ich’s nur versuchen will, sie bleibt stur und lässt sich auf das Gespräch nicht ein.

Wie unangenehm! Man müsste die Haltung zu den Busfahrern der Heimatstadt vielleicht noch mal überdenken.

Die Wahl ist klar: Fahren ohne Ticket oder auf den Besuch bei Arno und David verzichten. Entgegen meiner Natur entscheide ich mich für ersteres und zerre den Gatten in den Bus. Dass wir nicht die einzigen sind, die schwarz unterwegs sind, beruhigt auch ihn. Das andere touristische Personal hatte nicht mehr Glück als wir. Zwanzig Schwarzfahrer in einem Gefährt, was soll ein Kontrolleur da ausrichten, beruhig’ ich mich. Das Schild, dass man ein Ticket auch beim Fahrer kaufen kann, tut sein Übriges dazu.

Wir kreisen langsam in die Stadt, der Blick ist schön und ich vergesse unsere Ungesetzlichkeit. Noch vier Stationen sind es bald, ich prüfe es auf dem kleinen Plan, dann drei, dann zwei. Hier öffnet sich die Tür frontal vor mir. Der Mann, der nun den Bus betritt, ist nicht zum Vergnügen unterwegs: Er hält den Ausweis in die Luft und fragt nach einer Fahrtberechtigung.

Dass er seriöser aussieht als die Kontrolleure in der Heimatstadt, das hilft nicht viel.

Ich steh in seinem Angesicht, Offensive brauch ich jetzt. Und lass den Wortschwall auf ihn los. Vom Versuch, Tickets zu kaufen und der Vergeblichkeit unseres Bemühns. Erzähle ich lang. Von der ersten Fahrt den Berg hinab und dem harten Aufstieg wieder zurück. Berichte ich natürlich auch. Er sagt nur: Wait. Und danach nicht mehr viel. Verlassen müssen wir mit ihm an der Endstation das bislang kostenlose Gefährt. Die anderen, auch ticketlos, schieben sich klammheimlich an uns vorbei.

Mit einem Wächter an der Seite, der nur die Heimatsprache spricht, warten wir vor der Cattedrale auf den ersten Kontrolleur. Der beschäftigt sich derweil mit zwei Schweizern neben uns. Tickets, ja, die haben sie. Doch entwertet sind die leider nicht. Ausweise werden gezückt, Personalien notiert. 60 Euro lerne ich, kostet die halbstündige Fahrt für jeden aus dem Alpenland.

Viel Hoffnung hab ich nun nicht mehr, dass diese Busfahrt viel weniger kostet als mein Flugticket in diese schöne Stadt.

Noch während er den Schweizern die Regeln in der Stadt erklärt, wendet er sich plötzlich uns dann zu. Er zeigt auf einen Kiosk, gleich ums Eck. Zwei Tickets sollen wir dort kaufen und zurückkommen, sagt er. Einfach davonstehlen, das kommt mir nur ganz kurz in den Sinn. Wir kaufen gleich vier der seltenen Scheine – die Rückfahrt muss ja auch noch sein – und gehen wir schicksalsergeben zu ihm zurück.

Die Schweizer sind schon ärmer, der Kontrolleur hat nun die Zeit für unsere schwarze Fahrt. Nimmt die Tickets aus meiner Hand. Fein säuberlich notiert er etwas drauf. Ich kann nicht sehen, was es ist. Vermute, die Zahl der Strafe für die Ungesetzlichkeit. Dann hebt er seinen Blick. Ich will es euch erklären, sagt er dann, noch einmal eine solche Fahrt, das ist nun echt nicht drin.

Weil wir sie nicht bezahlen könnten, so arm nach der italienischen Strafprozedur?

Doch was mein Auge sieht beim Blick auf seine feine Schrift, ist die Uhrzeit, die er eingezeichnet hat. Ein Ticket, sagt er dann, ist immer gültig für novanta minuti, egal wohin man fährt. Ihr könnt jetzt die beiden nutzen und noch einmal diese Zeit unterwegs mit ihnen sein. Ungläubig ist mein Blick bestimmt. Hat er uns jetzt die Fahrt geschenkt? Und mehr als eine Stunde noch dazu?

Das nächste Mal kauft ihr euch vorher ein Ticket, sagt der Kontrolleur und beachtet die zwei Schweizer nicht, die betroffen in Richtung David schlendern.

Merci vielmals, sage ich pflichtbewusst, auf jeden Fall. Wenn wir einen Busfahrer treffen, der so freundlich ist wie jene in der Heimatstadt, das denke ich nur still.

In London

Manche haben unauffällig die Wohnung verlassen, manche über Umwege. Manche versprachen zurückzukommen. Einem hab ich hinterhergewunken.

Fünf Regenschirme zierten mal den Wohnungsflur. Klein und groß. Billig und edel. Geschenkt und gekauft. Doch irgendwann war‘s mit der Zierde dann vorbei. Regelmäßig wurden wir nun nass. Auf dem kurzen Weg zu Freunden, dem längeren zur Arbeit, der Mittelstrecke ins Zentrum. Im Sommer freuten wir uns mitunter noch über einen kurzen Guss. Doch mit den ersten bunten Blättern kam die Erkenntnis: Ein neues, treues Stück muss her.

Der Ausflug nach London schien die perfekte Gelegenheit. Hier ward der Regenschirm wahrscheinlich erfunden und die gute Tradition bewahrt. Der Schirmmacher keine aussterbende Gattung, sondern gut im Geschäft.

Wir landen in strahlendem Sonnenschein. Die Temperaturen schon in Heathrow wärmer als gedacht. Und nichts scheint sich für das Inselvolk daran zu ändern. Das Bier im Pub genießen wir im Freien, den größten Teil der Feier am nächsten Abend auch. Wir liegen im Park, verharren bei Straßenkünstlern, blinzeln staunend in den Himmel.

Wir man hier nicht mehr nass?

Kurz gerät die Schirmmission ins Stocken. Kein Regen in London? Vielleicht wird das Stück nicht mehr gebraucht. Doch der Wetterblick über den Ärmelkanal beruhigt: It‘s raining again. Die Mission kann weitergehen. Am ersten Tag wird das Schirmgeschäft nur kurz gestreift. Modelle geprüft, die Preise auch. Am nächsten dann bleiben nur zehn Minuten für die Wahl. Doch kein Problem, das Zielobjekt steht zügig fest.

Rot. Zart. Nicht-nass-werden sah noch nie so schick aus.

Der Gatte ist verwirrt vom Shoppingrausch. Den leih ich mir nie, wirft er ein. Stell dir vor, ich lass ihn stehen. Doch seine Einwände verhallen unbehört. Der Geist ist benebelt vom schmalen blauen Ledergriff. Kriegst du den denn in den Koffer, versucht es sich hindurchzuboxen. Ach, wofür gibt es Handgepäck. Doch plötzlich frag ich mich dann doch: Mein Schirm, eine Gefährdung der Flugsicherheit?

Das Internet verwirrt mehr als es verrät. Der Gatte muss zum dritten Mal mit mir ins Schirmgeschäft: Wer hier Expertise hat, weiß über Flugzeugregeln doch bestimmt Bescheid. Den Heimversand zum halben Schirmpreis will ich zwar nicht. Die Verpackung aber umso lieber. So einfach aufgeben, no problem, versichert der Schirmexperte durch enge Brille und wirres Haar, nachdem er zum Zehntel des Einkaufspreises den Regenschutz kunstvoll verschnürt hat.

Zum Glück scheint immer noch die Sonne.

In ihrem Schein fahren wir zum Flughafen. Der Mann in der Subway will zurück nach Arizona. Luxustüten stapeln sich um ihn herum. Zwei Tage hat er gebraucht, sie einzusammeln. Nun will er wissen, was in meinem Paket steckt. Viel Regen in Germany, isn‘t it? In Phoenix aber wird er nicht nass. Sein Rasen ist aus Plastik, die mannhohe Kaktee aber eine Augenweide. Ein Schirm nutzt hier nur gegen Sonne, sagt er. Kurz kommt Neid auf. Die Geschichte von der Eule jedoch verscheucht ihn schnell. Wenn die kommt, verschwindet der Pinscher so zuverlässig wie ein Schirm aus meinem Flur. Vielleicht doch lieber nass werden.

Bei der Gepäckaufgabe beschleunigt sich dann kurz mein Puls. Wird das Schirmversprechen halten? Schon sucht eine Auge nach der DHL. Doch Aufgeben ist möglich, stell‘ ich mit Erleichtern fest. Lange hält das leider nicht. Ein drittes Gepäckstück angemeldet? Kurz ein Sicherheitsrisiko erwartet, doch die Kosten sind‘s. 58 Pfund will der Kranich für die zwei zusätzlichen Kilos haben.

Nicht-nass-werden war noch nie so teuer.

Warum nicht mit ins Flugzeug, fragt die Eincheckfrau mit Zweifelblick. Passt prima rein ins Handgepäck. Sicherheitsbedenken zerstreut sie schnell. Ein Schirm sei kein Problem, wiederholt sie auf Nachfrage. Don‘t worry. Dasselbe spricht der Röntgenmann, bevor er sich erneut dem Kinderwagen vor uns widmet. Zwischen Windeln und Brei geht es weit verdächtiger zu als in meinem gut verschnürten Stück.

Ein ruhiger Flug, doch plötzlich ist die Sonne weg. Der Pilot bestätigt, was wir schon längst gesehen haben. Das schöne Inselwetter ist vorbei. Die Heimatstadt versinkt im Regen. Am Gepäckband zerre ich am Schirmpaket. Doch der Engländer verstand sein Werk.

Willst du nicht den Schirm endlich auspacken, fragt der Gatte kurz darauf durch den Niesel.

Der ist viel zu fest verschnürt, sage ich. Dann werden wir halt nass.

In Wyk

Kaum hat die Fähre den Anleger verlassen, kann ich schon das Ufer nicht mehr sehen. Der Nebel ist wie Watte, das Land verschwindet schnell im tiefen Weiß. Zum Glück haben wir das Schiff davor nicht mehr erwischt. Das gab uns Zeit fürs Krabbenbrötchen. Und für das mit Hering. Vier Tage Insel. Ich bin entspannt. Bis mein Blick auf den Nachbarplatz fällt.

Ein Föhrrari?? Nicht euer Ernst.

Ein Opel putzt sich damit heraus. Dem Gatten zeigen? Nee, lieber nicht. Das Wortspiel ist sein liebstes Ding. Wenn er das sieht, darf ich es nie wieder vergessen. Für die Hochzeit sind wir schließlich hier. Den Trauzeugen darf man nicht ablenken, lüg ich mich an. Das bisserl Eigennutz dabei verdrängt sich schnell.

Doch kaum ist ein Fuß aufs Eiland gesetzt, ist sehr schnell klar: Die Gefahr droht auch hier in Wyk. Unser Auto rollt geruhsam am Transföhr-Bus vorbei. Der Föhrrari auf der Fähre ist vielleicht kein Ausrutscher, sondern stolzer Teil der Inselkultur. Und der Gatte bestimmt viel schneller infiziert, als ich föhrflixt sagen kann.

Am besten zurück zur Föhre?

Doch nein, wir sind ja in Liebesmission hier. Das frohe Paar holt uns ab, die schöne Aussicht ist ihnen anzusehen. Und auch der Bäcker ist schon frisch föhrliebt. Also nichts wie auf in die Föhrienwohnung. Die Föhrmieterin ist auch schon da. Des Gatten Faible richtet Schlimmes an. Infiziert bin ich schon längst, nur nach außen dringt kein Wort. Jetzt hör ich auf, das schwör‘ ich mir. Ein Abend unter Festlandfreunden erleichtert das. Im dichten Nebel haben sie die Wortspiele wohl noch nicht entdeckt. Und auch der Gatte scheint nicht auf ihrer Spur.

Vielleicht können wir es vor ihm föhrverbergen?

Der Nebel bleibt am nächsten Tag. Das Wortspiel aber leider auch. So offensiv, verstecken scheint jetzt aussichtslos. Ist doch im Nachbarshaus bereits der Föhrradverleih. Wir machen eine Inseltour. Und plötzlich kommt die Sonne raus. Hochzeit hier, denkt sie vielleicht. Das kann ich besser als bisher. Und plötzlich versteht man dieses Wort von der Friesischen Karibik dann doch. Ich bin so abgelenkt, das Wortspiel rutscht von selbst hinaus.

Ein Glück, wir sollten öfters mal föhrreisen.

Der Gatte doch ist seltsam still. Dabei wurden uns gerade noch schöne Föhrien gewünscht. Macht es das Fischbrötchen in seinem Bauch? Zu viel von Dorsch und Hering drin? Vielleicht ist‘s aber auch die Übermacht. Die Wortspiele sind so zahlreich, dass er ihrer überdrüssig wird? Eins mehr zu machen, keine Kunst. Ist das die neue Taktik für zu Hause? Kein Augenrollen mehr. Das Wortspiel wird so oft genutzt, dass er es leid wird, es zu jagen!

Gut, Föhrplay sieht anders aus.

Die Hochzeit naht, am nächsten Tag. Der Gatte macht sich schnell noch schick, dann fahren wir zum Standesamt. Es wird gesprochen und gelacht, geheiratet natürlich auch. Vor dem Gang zum nächsten Strand gibt‘s ein Glas Sekt und viel Gesang. Das Brautpaar strahlt. Die Sonne heute sowieso.

Föhrliebt, föhrlobt, murmelt der Gatte dann vor sich hin, föhrheiratet.

Jetzt ist Schluss damit, finde ich, ein föhr allemal.

In Sevilla

Orangen bevölkern diese Stadt. Sie wachsen auf dem Weg zum Supermarkt. Im Hof der Kathedrale und vor dem königlichen Palast, stehen auf der Ausgehmeile und am Rand des Busbahnhofs. Kaum vorstellbar, dass ein Orangenhändler hier überleben kann. Zwei, drei Mal versuche ich in den ersten Tagen, eine zu pflücken. Doch habe ich endlich eine entdeckt, deren Äußeres den richtigen Reifegrad verspricht, scheitere ich aber kläglich an der Höhe der Bäume.

Alles Springen und Hüpfen ist vergebens: Ich komme einfach nicht dran – nada!

Theoretische Fortschritte in Sachen Obsternte mache ich erst an meinem vierten Abend in der Stadt. Nach der letzten Sprachstunde des Tages sitze ich mit einem britischen Kommilitonen in der Cerveceria. Der Platz davor – ein Meer von Orangenbäumen. Wie gerne ich eine probieren würde, beschreibe ich in seinem Angesicht, wie schwer jedoch das Pflücken fällt, beschwere ich mich natürlich auch. Der Brite aber schüttelt nur den Kopf, ein bisschen skeptisch lächelt er dabei. Dass er mich für eine sparsame Deutsche hält, denke ich nur kurz. Ein bisschen länger hält der Gedanke vor, dass das Pflücken unter Strafe steht. Doch der kundige Brite klärt mich auf, erzählt von Mauren, die das Obst nach Andalusien gebracht haben, von Sachen, die damit möglich sind. Als Rohstoff fürs Parfum, das geht. Als Orangeat, das ich in Florentiner schmeißen kann, das auch. Zum Kochen von Marmelade, doch, gerade noch.

A bitter orange, conosces? Fragt der Experte vom Inselvolk mit breitem Lächeln.

Ich hänge noch ein bisschen fest an frisch gepresstem Saft, die Neugier aber bleibt. Das zweite Bier kommt gerade auf den Tisch, da knüpft der Brite ans Orangenthema an. Ich kann dir gerne eine pflücken, bietet er mir an. Der Hilfsbereitschaft schleudere ich zunächst nur Zweifel ins Gesicht. Da kommst du eh nicht dran, erwidere ich, so groß bist du nicht. Reif genug sind sie außerdem noch nicht. Selbst wenn: Was mach ich dann damit? Der Brite aber ist längst überzeugt: Ich pflücke sie, schön saftig und orange, und du machst Marmelade draus.

Tatsächlich schließen wir einen Pakt dazu, die Schuld der dritten Cerveza zuzuschieben wäre aber doch ein bisschen leicht.

Zwei Tage später merke ich, dass die Leidenschaft des Inselvolks für zitrusfruchtigen Brotaufstrich nicht zu unterschätzen ist. Nach dem Abendkurs, wir stehen noch ein bisschen rum, sagt mein britischer Freund: Die Zeit ist reif. Und die Orangen auch. Auf dem Weg habe ich viele gute naranjas gesehen, you know? Bevor ich weiß, wie mir geschieht, hüpfen wir am viel belebten Platz schon auf und ab. Klettern auf Bänke, verletzen uns an Dornen, spazieren schließlich mit sechs Früchten in meiner Handtasche unschuldig der Stadtpolizei davon.

Am nächsten Tag füllt ein intensiver Orangenduft mein Heim. Von Mauren fürs Parfüm genutzt, das glaub ich gern. Als ich mein Frühstück bereite, weicht die Überschwänglichkeit von letzter Nacht. Was brauche ich alles dafür? Wie klappt das hier im Mini-Domizil? Und überhaupt: Taugt die Frucht dafür? Ich wage nicht, sie anzurühren.

Doch klar ist: No tengo mucho tiempo. Der Brite reist am übernächsten Tag.

Also taste ich mich ans beste Stück heran und schneid’ es auf. Was mir sodann entgegen starrt, hat mit einer schönen Frucht nicht viel gemein. Trocken sieht sie aus und schal, auch die Farbe macht mir nicht gerade Mut. Vorsichtig halte ich die Zunge dran, die scheint danach ein bisschen taub. Entmutigen lasse ich mich zwar nicht so schnell. Doch spätestens beim dritten Stück ist klar: Marmelade wird daraus sicher nicht.

Ich verschweig es meinem britischen Freund zunächst. Beim letzten Abendessen aber lenkt er selbst das Gespräch darauf. Ich winde mich ein bisschen hin und her, berichte von der miesen Qualität des Mundraubs und unserem effektlosen Bemühn. Doch, wende ich noch ein, bevor er etwas sagen kann, wenn ich zu Hause bin, im Land, wo der her stammt, der weiß, wo die Orangen blühen, starte ich einen weiteren Versuch Bitter Orange, just for you.

Wir verabschieden uns mit diesem zweiten Pakt. Dass das dritte Glas Vino Bianco was damit zu tun hat, ich glaub es fast. 

Wochen später hab’ ich mein Versprechen eingelöst, aus vielen Zitrusfrüchten Marmelade eingekocht, diesmal ohne Ernte in der Stadt. Mein britischer Freund bedankt sich wortreich nun bei mir, druckst am Ende aber doch ein wenig rum.

Marmelade ist eigentlich gar nicht so mein Ding, beichtet er über Skype, Nutella etwa ess’ ich wirklich gern.

Vielleicht treffen wir uns zum nächsten Sprachkurs einfach im Piemont, sage ich, dort, wo die Haselnüsse blühen.

In Kopenhagen

Übers Fahrradfahren schreib’ ich bestimmt, wenn ich in Kopenhagen bin. Sag ich zu mir, noch auf dem Weg. Die Fahrradwege sind so groß, hat die Freundin zum Abschied gesagt, da passt sogar ein Auto drauf. Fahrrad fahren ist das Ding.

Kaum bin ich da, schon seh ich sie. Der Bahnhofsvorplatz, er ist voll davon. In zwei Etagen stapeln sich die Räder hier. Und auch am Weg braust ständig eins an mir vorbei. Doch halt ich Ausschau nach was anderem hier. Sechs Stunden Fahrt, der Magen meldet sich mit Wucht. Schnell rein in die konditori, die Auswahl duftet und ist groß. Mit großen Augen zeig ich wie ein kleines Kind auf das Gerollte mit dem Zimt darin.

Wie etwas widerstehen, das kanelsnegl heißt?

Nur einen Bissen, dann ist der Hunger nicht so groß, denk ich und beiß im Laufen noch hinein. Ganz knusprig außen, innen weich, ein intensiver Zimtgeschmack. Noch einen zweiten, sag ich mir, und später dann den Rest davon. Jetzt läuft mir Karamell über den Mund. Verliebt schau ich das Zimtstück an. Ich will es haben, hier und jetzt. Und schling es auf dem Weg zur Unterkunft mit großen Bissen in mich rein.

Am nächsten Tag, die Sonne scheint, will ich ein bisschen durch die Stadt. Es ist ganz warm, Fahrräder kreisen rings um mich herum. Ich staune über ihre Vielfalt hier, das eine ist wohl zum Transport, das andere hat einen geflochtenen Korb vorne mit dran. In Türkis, in Harmonie zum schwarzen Rest. Schick sieht das aus, eins leihen könnt ich vielleicht auch. Mein Blick fällt auf die Fahrerin. Sie hält ne Tüte in der Hand, die Hälfte Backwerk steht heraus. Dann beißt sie herzhaft da hinein. Das Fahrrad seh’ ich gar nicht mehr.

Ich kann das kanelsnegl beinah riechen.

Das Frühstück ist nicht lange her, und doch, was essen könnt ich schon. Mein Blick flirrt herum, dann stell ich fest: Das ist die Gegend mit Hotels, einen Bäcker findet man hier nicht so schnell. Doch mit dem klaren Ziel im Kopf, laufe ich los, und renne fast. Die Fahrräder sind trotzdem schneller noch, dreispurig ziehen sie an mir vorbei. Eins leihen wäre vielleicht doch gar keine so dumme Idee.

Doch während ich noch nachsinniere über die nächste Verleihstation, fällt mein Blick aufs ersehnte Schild, konditori steht klar darauf. Ich geh hinein und bin vernebelt nach nur einem Blick. Das kanelschnegl kommt nicht nur pur, sondern mit Beiwerk oben drauf. Schoko, ob zart, ob herb, meist in der gegossenen Version. Klassisch scheint mir die mit Zucker drauf, als Hagel oder auch als Guss. So viele kanelsnegls, die Auswahl fällt jetzt ganz schön schwer.

Man könnte sie in einem Transportfahrrad mitnehmen, allesamt.

Ein paar Tage später dann, zur Mittagszeit, geh’ ich zum Essen aus dem Haus. Ich hab mir etwas ausgeschaut, ein Deli, das ein jeder lobt. Das Smørrebrød verpassen darf man keinesfalls, so steht es in dem Foodieblog. Ich freu mich schon, lang auf dem Weg, für den ich ganz bestimmt kein Fahrrad brauch’. Römpömpömpöm.

An der Theke steh’ ich dann, etwas orientierungslos. Die Frau ist freundlich und wartet, bis ich mich entschieden hab. Als mein Blick dann fragend ihre Augen trifft, zeigt sie auf etwas, das entfernter steht. They are fantastic, sagt sie überzeugt, my favourites. Ich suche das, worauf ihr Finger zeigt. Und sehe eine Variante von dem Ding, das ich so liebgewonnen hab. Ich nicke kurz und lächle in ihr freundliches Gesicht zurück, versuchen will ich das auf jeden Fall.

Auf das Smørrebrød verzichten? Na, wenn’s fürs kanelsnegl ist!

Am letzten Tag, kurz vor der Abfahrt dann lauf ich noch ein bisschen rum. Will Abschied nehmen von der Zeit. Von Ecken, die mir wohlgesonnen sind. Ein bisschen Proviant kauf ich noch ein, die Zugfahrt ist ja nicht gerade kurz.

Hast du dir für die Zeit hier eigentlich ein Fahrrad geholt, fragt meine Vermieterin, als ich mich auf den Weg zum Bahnhof mache.

Ein Fahrrad nicht, sage ich, aber jeden Tag ein kanelsnegl.

In Prag

Schon beim Grundvokabular blieb ich stecken. Eigentlich möchte ich danke sagen können, bitte, tschüss und natürlich auch hallo. Das scheint mir nicht zu viel verlangt. Doch alleine das Bedanken erforderte fünfmaliges Wiederholen des geduldigen Vermieters – und saß dann immer noch nicht wirklich. Děkují. Jedes Mal, wenn ich es sage, hört es sich ein wenig anders an. Wie ich so jemals ein Trdelník bestellen oder nach einer Lékárna fragen soll, ist mir ein Rätsel.

Zum Glück darf ich zur Begrüßung wenigstens ein „Ahoi!“ von mir geben.

Denn stumm bleiben, das ist wirklich nicht mein Ding. Die Reisegefährtin ist viel weiter schon als ich. Einen vollständigen Satz kann sie sagen, auswendig und es hört sich richtig an. Ukončete výstup a nástup, dveře se zavírají. Dass sie ihn nicht wirklich nutzen kann außer zur Erheiterung der Reisegefährtinnen, macht ihr nichts aus. Jetzt steigt schon endlich ein, die Türen schließen selbsttätig. Gelernt hat sie das vor vielen Jahren schon, auf langen U-Bahn-Fahrten durch die Stadt. Wiederholung mit dem besten Lerneffekt.

Schon auf dem Weg in die goldene Stadt wird mit der Sprache rumprobiert. Sich gefragt, wie man aus fünf Konsonanten hintereinander einen vernünftigen Laut formen kann. Und natürlich ausprobiert. Einig sind wir uns spätestens als die erste tschechische Durchsage im Zug ertönt: Die Sprache klingt sehr schön, wenn’s im Schriftbild auch ganz anderes verheißt. Doch sprechen scheint fast aussichtslos. Immer wenn wir nicht mehr weiter wissen, fällt der Satz aus der U-Bahn. Ich wiederhole zum x-ten Mal, klinge aber mit jedem Satz ein wenig so, als wollte ich etwas aus der Reinigung abholen. Nur was, ist selbst mir nicht wirklich klar. Se Wäsche wäsche wi ra i.

Doch vom Sprachversuch zurücktreten? Keinesfalls!

Dass unsere Haltestelle irgendwas mit Republiky heißt, ist gut für mich. Denn schon nach kurzer Zeit in Prag stellt unsere kleine Reisegruppe fest: Kommunizieren ist hier nicht so das Problem – denn fast jeder spricht ja englisch hier, als Touristen sind wir meist sehr schnell entlarvt – das Lesen doch viel eher schon. Oder eher das Merken des Gelesenen. Wie ich Křižíkova im Sinn behalten soll, ich weiß es nicht. Habe ich schon vergessen während ich noch auf den Namen starre. Im Kopf forme ich wieder und wieder ein Wort, das in meinem inneren Ohr ein wenig tschechisch klingt. Es mit Sicherheit aber nicht ist. Eine Station hab ich mir mal gemerkt in den Tagen hier – doch als sie von der blechernen Stimme ausgesprochen ward, hörte sie sich so anders an, dass ich nicht wirklich wusste, wo ich bin.

Wir fahren viel mit der Tram in dieser Zeit. Den Spruch vom Zurücktreten gibt es dort nicht, doch zuverlässig lotst uns die tschechischbegabte Reisegefährtin damit durch die Stadt. Eines Abends dann auch ins viel gelobte Restaurant. Auch hier hangeln wir uns am Englisch fest, doch Sprache bleibt ein Thema, spätestens beim Dessert. Der Kellner hat uns sorgsam abgefüllt, das gute Bier in den Adern stelle ich schließlich fest: Fließend tschechisch sprechen, kein Problem! Das mit den Sch-Lauten funktioniert hervorragend, wenn das Hirn sich nicht mehr ganz so ernsthaft fragt, was die Zunge da eigentlich macht. Willkommen in Scheschien. Lustiger wird das mit jedem Bier, warum, versteht sich wohl von selbst.

Dass mich nur die Reisegefährtinnen verstehen, stört mich nicht mehr.

Am vorletzten Tag ist endlich dann die Metro dran. Ob wir nur mit ihr fahren, um endlich diesen Satz zu hören, ich weiß es nicht. Wir steigen ein, erwartungsvoll drei Blicke zum Lautsprecher. Und tatsächlich kommt der Spruch. Ukončete, prosím, výstup a nástup, dveře se zavírají. Plötzlich hängt ein anderes Wort darin, das mir tatsächlich ein wenig bekannt vorkommt.

Die U-Bahn ist höflicher geworden, stellt die Reisegefährtin fest, sie fügen jetzt ein bitte ein.

Das merke ich mir jetzt auch, sage ich. Damit ich wenigstens prosím sagen kann, wenn ich aufs Trdelník zeige.

In Duisburg

Ruhrpottperle? Echt nicht. Bei der Ankunft sind wir der Dunkelheit fast dankbar für alles, das sie verhüllt. Der schon zur Tatortzeit ausgestorbene Bahnhofsvorplatz. Die Autobahn direkt vor der Nase. Die viel zu breit geratene Fußgängerzone. Füllt sie sich wohl jemals vollständig mit Menschen?

Verwaist, verwaschen. Bonsoir tristesse. Echt jetzt.

Im Hotel wäre man im ersten Moment für ein bisschen weniger Licht dankbar. Vielleicht hätten wir doch das Überteuerte in Düsseldorf nehmen sollen. Altes Westdeutschland. Man möchte ihn meiden, den Begriff. Würde er nur nicht so gut passen. Der Teppich ist sicher viel älter als wir selbst. Es riecht seltsam.

Wie gut, dass wir hier nur schlafen müssen.

Übermüdet von der Party am Abend zuvor, den ersten Messestunden und dem doppelten Umweg über die Autobahn treten wir an die Rezeption. Freundlichkeit umhüllt uns schnell. Ob wir gut hierher gefunden haben? Hm, na ja. Gleich scheint es, als wolle er der Stadt die Schuld für unsere Orientierungslosigkeit geben. Wir treffen ihn noch drei Mal an diesem Abend. Das Zimmer wurde gewechselt, etwas zu essen gesucht. Gleichbleibend war nur sein offenes Lächeln.

Ruhrpottperle? Hm.

Noch finden wir das nicht verdächtig. In Freundlichkeit geübtes Hotelpersonal, kennen wir doch. Und dann noch in dieser kargen Umgebung, selbsterklärend. Mit keinem hat der Rezeptionist an diesem stillen Abend in der leeren Stadt wahrscheinlich mehr gesprochen als mit uns, denke ich. Vielleicht ist seine Freundlichkeit auch ihm geschuldet – dem Wissen, in den nächsten Stunden wieder vor allem mit sich selbst sprechen zu müssen.

Kleines Zimmer, traumloser Schlaf, der erste Blick aus dem Fenster: Hinterhof. Nicht charmant, nicht romantisch. Hinterhof. Auch der weitere Ausblick offenbart nichts Ermutigendes. Der Fernsehturm sieht einsam aus. Ebenso die Straße auf dem Weg zum Bahnhof. Wir sind feige und steuern die vertraute Kaffeekette an. Ich kann mich an der Törtchentheke nicht zwischen dem Ding mit Zimt und dem mit Himbeeren entscheiden. Wir diskutieren noch ein bisschen rum, während zwei andere Kundinnen den Laden betreten. Brav stellen sie sich an der Kasse an.

Endlich entschieden treten wir hinter sie. Und zucken fast zusammen, als das Mädchen in Pole Position sich umdreht, uns anspricht. Kurzfristig bin ich abgelenkt von den Piercings, dem Fanschal, dem Engelsgesicht. Wir seien doch zuerst da gewesen, sagt sie freundlich, aber bestimmt. Wir haben‘s nicht eilig, sie möge doch ruhig… Sie lächelt, nickt, bedankt sich. Bestellt einen schnellen Kaffee. Und wünscht uns zum Abschied einen schönen Tag.

Der kleine Junge im Kinderwagen vor uns erzählt in der Zwischenzeit was vom Kindergarten. Scheint, er würde gerne dorthin. Es stellt sich raus: Nur die große Schwester darf das schon. Er kann es kaum erwarten. Seine Mutter, nun in Pole Position, dreht sich um. Wir seien jetzt doch dran. Wir sehen uns verwirrt an. Doch, es ist ihr ernst damit. Wir winken noch mal ab. Keine Eile, sie möge doch ruhig… Sie dankt, holt Kaffee, schiebt in Richtung Kindergarten, den sehnsüchtig lächelnden Knaben voran. Auch sie wünscht einen schönen Tag, mit dieser ruhigen, ehrlichen und offenen Freundlichkeit.

Hier stimmt was nicht. Ruhrpottperle?

Wir sind dran. Und ein bisschen verwirrt. Von der Freundlichkeit oder der Auswahl? Wahrscheinlich von beidem. Zum hier essen oder mitnehmen, klein oder groß, aufwärmen oder nicht. Zwei Mal entscheiden wir uns um. Der junge Mann uns gegenüber nimmt‘s mit Humor. Vielleicht kennt er das schon. Ist ja auch alles nicht so einfach. Und mein Tee, so stellt er schließlich fest, sei ja auch heißer als der Kaffee des Gatten. Dass da gut abgewogen werden will, versteht er offensichtlich gut. Dass uns zehn Minuten später zum dritten Mal an diesem Morgen mit strahlendem Lächeln ein schöner Tag gewünscht wird, nehmen wir durchaus wahr. Denn laue Frühlingstemperaturen können nicht der Grund für außergewöhnlich gute Laune sein. Eisig schießt der Wind vorbei.

Das kann jetzt kein Zufall mehr sein. Echt nicht.

Auch der Gatte ist irritiert von so viel Freundlichkeit. Tun die hier was ins Wasser? Chemische Drogen in der Luft? Eine Fabrik in der Nähe, ein Werk am Fluss? Sein verwunderter Blick flackert umher. Scheint sich zu fragen, ob die Gefahr besteht, dass die anderen Passanten ihn auf einmal packen und anlächeln. Dass Musik einsetzt und sie mit ihm tanzen.

Duisburg, das Musical?

Wir wollen noch eine Flasche Wasser. Rein in den Laden, schnell an die Kasse. Dort sitzt ein junger Mann. Von der coolen Sorte. Hübsch. Schräge Frisur. Er zieht die Flasche über den Scanner. Schaut hoch, mich an. Es sei wohl ganz schön kalt, draußen, hm? Fragt er mit echtem Bedauern in der Stimme. Zwei Mal kurz blinzeln, mein fragender Blick. Ist es die Mütze, die verrät, oder doch das auffällige Reiben der Hände? Er versteht. An meinen Augen habe er es gesehen, sagt er mit einem Lächeln. Sicher, die Kalte Wind-Tränen, reichlich vergossen an diesem Morgen. Erstaunlich, kein einfacher Trick. Viele denken, ich würde weinen, sage ich. Aus Streit mit dem Gatten vielleicht. Er blickt zur Seite. Dem Gatten tief in die Augen. Prüfend. So sieht der nicht aus, entgegnet er dann. Mit einem Lächeln und sicherer Stimme. Der Gatte lacht, wir beide auch.

Das macht mir Angst, sagt der Gatte auf dem Weg zum Zug.

Das ist ne Ruhrpottauster, sage ich, die Perle steckt innen.