Atme tief ein!

Zwischen Elternhaus und Hauptstadtsitten

Neulich beim Yoga. Der erste Moment, der für große Entspannung gedacht war. Tief einatmen heißt die Anweisung. Und dann ausatmen. Alles loslassen. Stress, Ärger, Großstadthektik.

Doch Moment! Hat die uns etwa gerade geduzt? Und machen die das beim Yoga eigentlich immer so? Das war‘s dann mit Loslassen. Gefangen in einer Mischung aus Erinnerungen an die elterliche Erziehung (absolut pro „Sie“) und an die sich stetig wiederholende Irritation über die Ansprache im Schweden-Möbelhaus (absolut nicht erklärungsbedürftig) bleibt die Luft drin.

Und für einen winzigen Augenblick ist die Versuchung groß, auf das „Sie“ zu bestehen. Fremd wie wir uns eigentlich sind, auch wenn gerade Sonnengrüße als Dutzendware produziert werden. Es wäre ja auch nur ein Wort mehr – und so ein wertvolles, Situationen vollständig veränderndes noch dazu. Man nehme nur den unangenehmen Landsmann auf der Strandliege nebenan. Oh ja, der elterliche Sie-Grundstein ist offensichtlich fest im Umgangswortschatz verwurzelt.

Gerade als die Lippen das erste Wort formen, regt sich Widerspruch gegen den Widerspruch im Hinterkopf: Wurde im Alltag der zurückliegenden Woche nicht ganz schön oft geduzt – ohne Widerstands-Apnoe? Bei der Kuchenbestellung am Donnerstag. Während der Schuhanprobe am Samstag. In der Eisdiele am Sonntag. Wechselseitig und ohne ein Gefühl von Unhöflichkeit oder ungewollter Nähe. Nur eine Sitte der Hauptstadt?

Die anderen: Schon im Vierfüßler-Stand. Du-oder-Sie-Regeln formulieren ist jetzt vielleicht keine gute Idee. Nicht nur, weil der Stift fehlt. Die Gefahr der Ergebnislosigkeit scheint zu groß. Ja, Höflichkeitsregeln sind in jedem Fall zu beachten. Aber zu streng sollte man es vielleicht auch nicht sehen. Und intuitiv die Regeln brechen, wenn es passend erscheint.

In diesem Fall: Namaste! Und endlich ausatmen.