In Sevilla

Orangen bevölkern diese Stadt. Sie wachsen auf dem Weg zum Supermarkt. Im Hof der Kathedrale und vor dem königlichen Palast, stehen auf der Ausgehmeile und am Rand des Busbahnhofs. Kaum vorstellbar, dass ein Orangenhändler hier überleben kann. Zwei, drei Mal versuche ich in den ersten Tagen, eine zu pflücken. Doch habe ich endlich eine entdeckt, deren Äußeres den richtigen Reifegrad verspricht, scheitere ich aber kläglich an der Höhe der Bäume.

Alles Springen und Hüpfen ist vergebens: Ich komme einfach nicht dran – nada!

Theoretische Fortschritte in Sachen Obsternte mache ich erst an meinem vierten Abend in der Stadt. Nach der letzten Sprachstunde des Tages sitze ich mit einem britischen Kommilitonen in der Cerveceria. Der Platz davor – ein Meer von Orangenbäumen. Wie gerne ich eine probieren würde, beschreibe ich in seinem Angesicht, wie schwer jedoch das Pflücken fällt, beschwere ich mich natürlich auch. Der Brite aber schüttelt nur den Kopf, ein bisschen skeptisch lächelt er dabei. Dass er mich für eine sparsame Deutsche hält, denke ich nur kurz. Ein bisschen länger hält der Gedanke vor, dass das Pflücken unter Strafe steht. Doch der kundige Brite klärt mich auf, erzählt von Mauren, die das Obst nach Andalusien gebracht haben, von Sachen, die damit möglich sind. Als Rohstoff fürs Parfum, das geht. Als Orangeat, das ich in Florentiner schmeißen kann, das auch. Zum Kochen von Marmelade, doch, gerade noch.

A bitter orange, conosces? Fragt der Experte vom Inselvolk mit breitem Lächeln.

Ich hänge noch ein bisschen fest an frisch gepresstem Saft, die Neugier aber bleibt. Das zweite Bier kommt gerade auf den Tisch, da knüpft der Brite ans Orangenthema an. Ich kann dir gerne eine pflücken, bietet er mir an. Der Hilfsbereitschaft schleudere ich zunächst nur Zweifel ins Gesicht. Da kommst du eh nicht dran, erwidere ich, so groß bist du nicht. Reif genug sind sie außerdem noch nicht. Selbst wenn: Was mach ich dann damit? Der Brite aber ist längst überzeugt: Ich pflücke sie, schön saftig und orange, und du machst Marmelade draus.

Tatsächlich schließen wir einen Pakt dazu, die Schuld der dritten Cerveza zuzuschieben wäre aber doch ein bisschen leicht.

Zwei Tage später merke ich, dass die Leidenschaft des Inselvolks für zitrusfruchtigen Brotaufstrich nicht zu unterschätzen ist. Nach dem Abendkurs, wir stehen noch ein bisschen rum, sagt mein britischer Freund: Die Zeit ist reif. Und die Orangen auch. Auf dem Weg habe ich viele gute naranjas gesehen, you know? Bevor ich weiß, wie mir geschieht, hüpfen wir am viel belebten Platz schon auf und ab. Klettern auf Bänke, verletzen uns an Dornen, spazieren schließlich mit sechs Früchten in meiner Handtasche unschuldig der Stadtpolizei davon.

Am nächsten Tag füllt ein intensiver Orangenduft mein Heim. Von Mauren fürs Parfüm genutzt, das glaub ich gern. Als ich mein Frühstück bereite, weicht die Überschwänglichkeit von letzter Nacht. Was brauche ich alles dafür? Wie klappt das hier im Mini-Domizil? Und überhaupt: Taugt die Frucht dafür? Ich wage nicht, sie anzurühren.

Doch klar ist: No tengo mucho tiempo. Der Brite reist am übernächsten Tag.

Also taste ich mich ans beste Stück heran und schneid’ es auf. Was mir sodann entgegen starrt, hat mit einer schönen Frucht nicht viel gemein. Trocken sieht sie aus und schal, auch die Farbe macht mir nicht gerade Mut. Vorsichtig halte ich die Zunge dran, die scheint danach ein bisschen taub. Entmutigen lasse ich mich zwar nicht so schnell. Doch spätestens beim dritten Stück ist klar: Marmelade wird daraus sicher nicht.

Ich verschweig es meinem britischen Freund zunächst. Beim letzten Abendessen aber lenkt er selbst das Gespräch darauf. Ich winde mich ein bisschen hin und her, berichte von der miesen Qualität des Mundraubs und unserem effektlosen Bemühn. Doch, wende ich noch ein, bevor er etwas sagen kann, wenn ich zu Hause bin, im Land, wo der her stammt, der weiß, wo die Orangen blühen, starte ich einen weiteren Versuch Bitter Orange, just for you.

Wir verabschieden uns mit diesem zweiten Pakt. Dass das dritte Glas Vino Bianco was damit zu tun hat, ich glaub es fast. 

Wochen später hab’ ich mein Versprechen eingelöst, aus vielen Zitrusfrüchten Marmelade eingekocht, diesmal ohne Ernte in der Stadt. Mein britischer Freund bedankt sich wortreich nun bei mir, druckst am Ende aber doch ein wenig rum.

Marmelade ist eigentlich gar nicht so mein Ding, beichtet er über Skype, Nutella etwa ess’ ich wirklich gern.

Vielleicht treffen wir uns zum nächsten Sprachkurs einfach im Piemont, sage ich, dort, wo die Haselnüsse blühen.